Abdullah Ibrahim in Herrnhut
Aus den Tiefen des Archivs: Der Pianist Abdullah Ibrahim war im Herbst 2022 Gast des Lausitz Festivals und spielte am 13. September im Kirchensaal der ev. Brüdergemeine Herrnhut. Die Grundmauern des weißen Kirchensaals, in dem das Konzert stattfand, stammen aus den Jahr 1756. Es war früher der Gemeinsaal oder Betsaal, getrennt für Männer und Frauen. Seit 2005 in mehreren Phasen saniert, bietet der Saal Platz für rund 600 Besucher. Abdullah Ibrahim ist 1934 in Südafrika, in Kapstadt, geboren worden. Bekannt wurde er in der Jazz-Szene als Dollar Brand, Ende der 1960er Jahre konvertierte er zum Islam und nennt sich seitdem Abdullah Ibrahim. In New York traf er unter anderen mit John Coltrane und Ornette Colman zusammen.
Der Musikjournalist Roland Spiegel (Bayerischer Rundfunk) schrieb 2019 anlässlich des 85 Geburtstags: Der Pianist Abdullah Ibrahim, bekannt geworden als Dollar Brand, ist einer der bekanntesten Musiker aus Afrika. Eines seiner Stücke wurde zur Hymne der Anti-Apartheit-Bewegung. … Für Musikfans auf der ganzen Welt ist Abdullah Ibrahim eine Identifikationsfigur: ein Musiker, der auf gesellschaftliche Gegebenheiten reagiert und zumindest in Südafrika in die Gesellschaft hineingewirkt hat. Ist er denn ein Jazzmusiker? Er sagt: „Jazz ist die höchstentwickelte Musikform in der Geschichte des Planeten.“ Denn diese Musik sei „Human Activity“, die auf Gegebenheiten reagiere, anstatt einen Ablauf möglichst fehlerlos reproduzieren zu wollen. Man müsse diese Musik übrigens nicht unbedingt Jazz nennen – „wir haben uns nie selbst Jazzmusiker genannt“, sagt er. Jazz oder nicht, im Falle von Abdullah Ibrahim ist es bewegende Musik. Eine, die zumal in jüngster Zeit, in den langen Nonstop-Konzerten, in denen Abdullah Ibrahim Thema um Thema aneinanderfügt, viel vom Leben erzählt. Und nicht nur von seinem.
Abdullah Ibrahim spielte in Herrnhut „Solotude“, als Zugabe trug er drei Lieder vor, darunter zwei Spirituals – unter anderem eine Melodie, die er einmal bei einer Fahrt durch Tansania durch das Fenster seines Vans gehört hatte. Für Ibrahim war der Auftritt in Herrnhut eine Rückkehr: „Es ist eine tiefe und historische Verbindung und schwingt in meiner persönlichen und kollektiven Geschichte mit.“ Genadendal bei Kapstadt hat für den legendären Jazzpianisten eine ganz besondere Bedeutung, denn in diesem Ort entstand ab 1737 eine gebildete schwarze Gesellschaftsschicht, die auf die Missionierungsarbeit der Herrnhuter Brüdergemeine zurückging. Nelson Mandela, bei dessen Inauguration zum Präsidenten Ibrahim 1994 spielte, sagte einst, dass »die Herrnhuter die einzigen Weißen in Südafrika waren, die gaben, anstatt zu nehmen« – und benannte daher seinen Amtssitz in Kapstadt in Genadendal um.